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Funktionieren Internet-Filter/Sperren?

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Provider: Sperren geht nicht
Bezirksregierung: Es funktioniert

Stand: 29. Januar 2003
Text von Alvar Freude und Jörg-Olaf Schäfers

Während die Bezirksregierung Düsseldorf und einige Firmen, die ihr Filtersysteme verkaufen wollen, behaupten, dass Sperrungen möglich sind, zeigen Provider die Unmöglichkeit der Sperrungen auf. Wer hat Recht?

Die Frage nach der Wirksamkeit von Sperrungen und Filtern lässt sich nicht pauschal beantworten. Vielmehr ist die Frage zu stellen, wer mit welchem Aufwand »geschützt« werden soll und welche »Nebenwirkungen« man dafür in Kauf nehmen will.

Während einfache »Sperrlösungen« trivial zu umgehen sind, würden komplexere Sperrtechniken erhebliche Einschnitte auch in den normalen Netzverkehr mit sich bringen und wären dazu auch nur mit erheblichem Kostenaufwand zu realisieren. Und selbst solche »Lösungen« wären – verglichen mit dem Aufwand, der zu ihrer Etablierung betrieben werden müsste – leicht zu überwinden. Entsprechende Umgehungsmöglichkeiten sind nicht nur interessierten Neonazis bekannt, sondern werden zum Beispiel auch von chinesischen Dissidenten benötigt. Die Nutzung eines Anonymisierungs-Dienstes reicht in der Regel schon aus und lässt sich letztendlich nur durch ein weitreichendes Cryptoverbot unterbinden.

Klar ist: Eine nachhaltige Sperrung von Inhalten ist im Internet nicht möglich – außer wir machen aus dem weltweiten Kommunikationsnetz ein nordrhein-westfälisches oder deutsches Regionet. In letzter Konsequenz wäre dies ein Onlinedienst, in dem nur noch geprüfte Inhalte abgerufen werden können. Gleichzeitig müsste noch jegliche Kommunikation mit dem Ausland (Telefon, Funk, Satellit, Post) unterbunden werden. Doch der Reihe nach:

DNS-Sperren bringen nichts, im Gegenteil

Die derzeit in Düsseldorf – wohl aus prozesstaktischen Gründen (leicht umzusetzen, im kleinen Maßstab kaum Kosten) – favorisierte Sperrmethode ist eine DNS-Manipulation. Das DNS (Domain Name System) sorgt dafür, dass einem Computernamen wie »www.odem.org« oder »test.odem.org« die richtige IP-Adresse (Eine Nummernkombination, die den zugehörigen Rechner zweifelsfrei identifiziert) zugeordnet wird (IP: Internet Protocol). Es ist also eine Art Telefonbuch, eine Manipulation wäre vergleichbar mit dem Herausreissen von Seiten aus selbigem. Glücklicherweise kann man auch in der Computerwelt ein alternatives Telefonbuch benutzen, wenn die in dem vom eigenen Provider angebotenen »Seiten« fehlen oder manipuliert sind.

Oberstes Ziel des DNS ist eine globale Eindeutigkeit und Konsistenz. Dabei gibt der Inhaber/Administrator einer Zone (i.d.R. eine Domain) die Zuordnung vor:

»The primary goal is a consistent name space which will be used for referring to resources.«

RFC 1034, Domain Names – Concepts and Facilities

Damit Anfragen am DNS-Server nicht jedes mal um die halbe Welt gehen müssen, speichern die entsprechenden Server der Provider die zuletzt abgefragten Adressen zwischen. Greift man hier ein, wie die Bezirksregierung es vorschlägt, und liefert gefälschte Adressen, ist dies faktisch eine Enteignung der Domain, da der Inhaber genau das verliert, was »Domainbesitz« darstellt: Gewalt über die Auskunft aus dem Verzeichnis.

Die Bezirksregierung Düsseldorf empfiehlt also die »Sperrung« per DNS. Aber auch Regierungspräsident Jürgen Büssow musste bereits im Dezember 2001 einsehen, dass die Methode nahezu wirkungslos ist und die Popularität der zu sperrenden Seite(n) nur erhöht:

»[...] Das [DNS-Sperrungen] kann man leicht machen, aber es hat keine große Wirksamkeit, ich kann diese DNS-Sperrungen leicht umgehen und eventuell verdopple ich den Effekt und mache es auch noch bekannt. [...]«

Regierungspräsident Jürgen Büssow; bei der Arbeitskreissitzung am 19. Dezember 2001

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Nichtsdestotrotz setzt die Bezirksregierung bis heute (Januar 2003) insbesondere auf die DNS-»Sperre«; entgegen anderslautender Absichtserklärungen steht immer noch keine andere Sperrtechnologie zur Verfügung. Im Juli 2002 wurde die DNS-Sperrung erneut empfohlen und im September wurden die klagenden Provider angewiesen, beispielsweise mittels DNS sofort zu sperren.

Dabei hat schon lange zuvor die Firma Tricus, die für die Bezirksregierung nach Sperrungsmethoden gesucht hat, die Nachteile der DNS-Methode aufgeführt:

»Die Nachteile dazu [DNS-Sperrung]: Es ist ziemlich einfach zu umgehen, ganz kleine IT-Kenntnisse reichen dafür. Dass das ganze nicht RFC-konform ist, brauche ich auch nicht weiter anzuführen.«

Mitarbeiter der Tricus Systemhaus GmbH, einer von der Bezirksregierung beauftragten Firma, die Sperrungsmöglichkeiten herausfinden sollte; bei der Anhörungsveranstaltung am 13. November 2001

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Das heißt: für eine trivial zu umgehende Sperre muß man eine krasse Verletzung von Internet-Standards in Kauf nehmen.

Weitere Methoden

Auch die weiteren vorgeschlagenen Methoden kommen bei den Technikern nicht gut weg. Letztendlich lassen sie sich ähnlich leicht wie die DNS-Sperre umgehen, sorgen nur für erheblich mehr Kollateralschäden und Kosten.

  • Bei einer Sperre mittels eines Zwangsproxys muss ein solcher vorhanden sein. Gleichzeitig wird die Nutzung des Netzes drastisch eingeschränkt (u.a. Probleme für Onlinebanking und Telearbeiter), wenn ein Zwangsproxy verwendet werden muss. Es wäre der nächste große Schritt zu einem gleichgeschalteten, nur aus dem WWW bestehenden Internet.
  • Die Sperre einer IP-Adresse im Router sperrt alle Websites (und andere Dienste neben dem WWW), die auf dieser IP-Adresse laufen, ungeachtet ihres Inhaltes. Es kann vorkommen, dass unter einer IP-Adresse tausende unabhängige Websites erreichbar sind, der Zugang wäre dann zu allen unterbunden. Ändert der Betreiber des inkriminierten Angebots die IP-Adresse (nicht den Namen) des Servers, ist diese »Sperre« ausgehebelt (so geschehen bei der Homepage von Nazi-Lauck; an einigen Universitäten in NRW ist die Sperre dadurch inaktiv). Wenn ein neuer Server die alte Adresse erhält, wird dieser unbeteiligte als Kollateralschaden mitgesperrt, wie jüngst in der Schweiz geschehen.

Milliardenaufwand für Inhaltskontrolle

Kurt Jaeger, Geschäftsführer eines Internet-Providers in Düsseldorf und Stuttgart, erläutert, dass schon ganze Industriezweige mit Milliardenaufwand versucht haben, Inhalte im Internet zu kontrollieren:

»[...] Es gibt Industrieunternehmen, die einen neunstelligen Umsatz im US-Dollar-Bereich haben, die das, was Sie machen möchten, technisch versuchen. [...] Die nennen das Virenschutz. Diese Unternehmen scheitern, wie Sie alle in der Presse lesen können.
Beenden wir die Diskussion auf der technischen Ebene. Jeder Informatik-Professor wird Ihnen sagen – Theorie der Informatik, Komplexitätstheorie – Sie können nicht definieren über irgendein Programm, dass bestimmte Inhalte Ihnen nicht gefallen. Das wird nicht funktionieren, Sie können kein Programm erfolgreich schreiben. Lassen wir das auf der technischen Ebene entfallen, überlegen wir uns eine elegantere Lösung, die übrigens auch im Zusammenhang mit dem 11. September andebattiert wurde: Where is the money? Follow the money! Also: wenn Sie herausfinden wollen, wer bezahlt die Hosting-Anbieter in den USA, überprüfen Sie die finanziellen Transaktionen, [...] dann kommen Sie vielleicht an diejenigen, die die Inhalte dort einpflegen.«

Kurt Jaeger, Geschäftsführender Gesellschafter zweier Provider; bei der Anhörungsveranstaltung am 13. November 2001

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Gesellschaftliche Problemstellung

Abgesehen von der rein technischen Sichtweise sollte es in einer Demokratie nicht das Ziel sein, unangenehme Dinge zu verstecken, sondern diese entweder zu beseitigen oder sich mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen. Beides würde durch Sperrungen aber verhindert. An dieser Stelle sollte auch die Frage erlaubt sein, wer überhaupt geschützt werden soll. Möchte man tatsächlich "dumme Bürger" bevormunden, weil man ihnen keine kritische Auseinandersetzung mit missliebigen Inhalten zutraut? Wohlgemerkt mit Inhalten, die sie selber aktiv abrufen müssen.

Internet-Filter-Systeme, die unter dem Alibi-Deckmantel des Kampfes gegen Rechtsextremismus eingeführt werden, sind aber nicht nur im Kampf gegen Nazis kontraproduktiv: Sie können dem Internet nachhaltig schaden, da zu viele Interessengruppen irgendetwas sperren möchten. Und wer hat angesichts Kurt Becks Vorstoss noch Zweifel, dass diese Maßnahmen schon bald auf Pornographie und »Killerspiele« angewendet werden?

Filter Extrem

Die Gefährlichkeit eines umfangreichen, zentralen Filtersystems haben bereits 2000/2001 die Medienkünstler und ODEM-Mitbegründer Dragan Espenschied und Alvar Freude in ihrer Diplomarbeit gezeigt. Ihr Filter-Experiment bewies die Anfälligkeit von Mensch und Technik gegenüber Manipulationen: einige Monate lang manipulierten sie alle von ihren Mitstudenten aufgerufenen Webseiten. Selbst komplexe Manipulationen in Echtzeit am laufenden Datenstrom waren möglich – und wurden von den Opfern nicht bemerkt. Innerhalb kurzer Zeit kamen so rund 600 000 Manipulationen zustande.

insert_coin, Verborgene Mechanismen und Machtstrukturen im freisten Medium von allen – so der Name der Diplomarbeit in Anspielung auf die zunehmende Kommerzialisierung des Netzes – wurde 2001 mit dem \\internationalen\medien\kunstpreis von ZKM und SWR ausgezeichnet. Sie zeigt: wenn man es nur weit genug treibt, sind die Folgen unkalkulierbar. Ein umfangreicher Theorie-Teil beschreibt konkrete Zensurfälle, Netzmythen und wie man den Filter selbst testen kann.

Fazit

Eine Gefahr für die Freiheit, Struktur und Qualität des Internets geht von einer »Sperrung« zweier Nazi-Sites ebensowenig aus, wie von diesen Seiten eine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung ausgeht, wie die Bezirksregierung in ihrer Anordnung des sofortigen Vollzugs unterstellt. Schwerer wiegt da, dass andere Bemühungen konterkariert werden, beispielsweise indem eine Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus unterbunden wird. Wird Wegschauen und schweigen wieder modern? Eine Behinderung rechtsextremistischer Internet-Nutzer ist nicht festzustellen – nicht nur weil die Sperren für Mitglieder der Szene allereinfachst umgangen werden können, sondern auch weil nach den aktuellen Verfassungsschutzberichten die beiden von der Bezirksregierung ausgewählten Seiten keine erwähnenswerte Bedeutung haben.

Gefährlich sind hingegen die Begehrlichkeiten, die mit einem umfangreichen Filtersystem geweckt werden.

 

Weiter:
Was und wieviel könnte in Zukunft gesperrt werden?
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Sonstige Infos:
Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur)

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