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Handwerkliche Mängel und der kleine Dienstweg

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»Eine Zensur findet doch statt«

Stand: 30. Januar 2003
Text von Alvar Freude und Andreas Milles

Die Bezirksregierung Düsseldorf übt Druck auf das Internet aus – und hat zumindest beim WDR Erfolg

Manchmal kann die Presse richtig schwierig und unbequem sein. Unangenehme Berichte im Internet, das wissen wir seit der Sperrungsverfügung, kommen insbesondere in Düsseldorf gar nicht gut an. Neues Beispiel:
Eine Zensur findet doch statt ...
Größer | Artikel im Web-Archiv

Jörg Schiebs Kolumne »Eine Zensur findet doch statt«. Eigentlich ein alter Hut (erschienen in Woche 48/2001 bei WDR Online, Rubrik »Schieb der Woche«) und wie immer eine Glosse in gewohnt frechem Ton. Dieses Mal hatte der Autor Jürgen Büssow bedacht, als der seine Pläne zu Filter- und Sperrungsmaßnahmen ausländischer Webseiten verkündete.

Büssow war jedoch nur kurz mit dieser merkwürdigen Auszeichnung konfrontiert: Sucht man auf den WDR-Seiten den betreffenden Schieb der Woche, findet sich nur noch ein 404-Fehler: Seite nicht gefunden. Ein Versehen? Ein handwerklicher Fehler des WDR-Webmasters? Schliesslich sind sowohl von der Woche davor als auch danach sämtliche »Schiebs« vorhanden ... Wir haben etwas weiter gegraben. Da nicht jeder den Schieb der Woche kennen dürfte, seien ein paar Zeilen WDR-Eigenwerbung für die Kolumne erlaubt:

»Das können zum Beispiel skurrile Geschichten aus der Welt der Computer sein, aber auch skandalöse Schlampereien bei Hard- und Softwareherstellern oder unglaublich dumme oder überflüssige Webseiten. Jedenfalls immer spannende Themen, aus einer etwas anderen Perspektive beleuchtet. Aber Vorsicht: Nicht immer ist alles bierernst gemeint.«

Muss es ja auch nicht! So einer wie Jürgen Büssow nimmt Kritik nicht bierernst. Er nimmt sie gar nicht erst wahr. Oder sogar an. Denn nach Erscheinen des Artikels versicherte flugs WDR-Intendant und ARD-Vorsitzender Fritz Pleitgen dem Regierungspräsidenten seine Unterstützung:

»Übrigens hab ich hier ein schönes Schreiben vom Pleitgen bekommen; es gibt ja WDR-Online, da hat mich ein Redakteur angegriffen und der WDR hat mir gesagt, dass sie sich hinter mich stellen und dass sie Angriffe, die beim WDR-Online passiert sind, hier nicht teilen.«

Regierungspräsident Jürgen Büssow; bei der Arbeitskreissitzung am 19. Dezember 2001

Originalton: (Hilfe, Anmerkungen)
#MP3, mittlere Qualität (136 kB)
#OGG, kleine Datei (63 kB)
#OGG, gute Qualität (211 kB)

Haben wir uns alle getäuscht? Läuft neben Büssows Feldversuch bei der Sperrung ausländischer Internet-Seiten gar ein Pilotprojekt mit dem WDR? Wie dem auch sei, scheinbar erprobt man in Düsseldorf derzeit die Reichweite der Arme. Spannend dürfte nun die nächste Etappe werden; die Frage, wie weit Büssows Arm wirklich reicht – denn noch ist der originale Artikel im bekannten Web-Archiv vorhanden. Noch.

Auf Anfrage von ODEM.org begründete Thomas Drescher, zuständiger Redakteur beim WDR, die Entnahme des Artikels aus dem WDR-Angebot übrigens wie folgt:

»Den Text von Herrn Schieb können Sie nicht mehr abrufen, weil wir ihn wegen handwerklicher Mängel aus dem Netz genommen haben.«

Ob in dem Artikel handwerkliche Mängel sind, kann jeder selbst feststellen.

Hier wird Realität gemacht!

Scheinbar sind auch an anderer Stelle im Nachhinein die handwerklichen Mängel der WDR-Journalisten derart gravierend aufgestossen, dass auch der Beitrag über ein Gänseessen mit antisemitischem Gast nachträglich justiert werden musste. Besonders pikant: Dem »Qualitätswart« des WDR fielen zwei Zeilen auf, in der Prominente aufgezählt wurden, die bei einem antisemitischen Vorfall bei einem prominenten Festessen geschwiegen hatten. Unter ihnen: Jürgen Büssow.

Das ursprüngliche ...

»Weitere Zeugen geladen
Weil sich Spiegel nach mehr als einem Jahr nicht mehr an alle Details des Abends erinnern konnte, sollen jetzt noch weitere Zeugen gehört werden. Unter ihnen auch Prominente wie Düsseldorfs Oberbürgermeister Joachim Erwin, Regierungspräsident Jürgen Büssow oder Uni-Rektor Prof. Gert Kaiser. Sie alle hatten nach dem Vorfall pikiert geschwiegen. "Im Nachhinein schäme ich mich, dass ich nicht aufgestanden bin und das Wort ergriffen habe", erklärte Kaiser auf Anfrage. Wann der Prozess fortgesetzt wird, steht noch nicht fest.«
Wurde inzwischen nachgebessert:
»Weitere Zeugen geladen
Weil sich Spiegel nach mehr als einem Jahr nicht mehr an alle Details des Abends erinnern konnte, sollen jetzt noch weitere Zeugen gehört werden. Alle hatten nach dem Vorfall pikiert geschwiegen. Wann der Prozess fortgesetzt wird, steht noch nicht fest.«

Das Datum indes blieb gleich: Scheinbar hat man am Rhein hinter den Kulissen einen weiteren Vorteil des Internets herausgearbeitet – Realitätsabbildung wird gleich Realitätsbildung.

Was sagt man dazu? Nun, seien wir ehrlich. Nur die wenigsten von uns verfügen über eine derart fundierte Ausbildung und einen derart hochwertigen Anspruch wie WDR-Berichterstatter. Den »Qualitätswart« oder das Webangebot einer öffentlich rechtlichen Anstalt infrage zu stellen oder zu kritisieren, wäre sicherlich zu weit gegriffen. Jedoch haben wir gelernt, manches Mal die Dinge, die uns vorgesetzt werden, auch zu verstehen; gar zu ergründen. Wir sind also gespannt auf weitere »handwerkliche Mängel«, die im Internet nachträglich korrigiert werden. Wir werden weitersuchen, und versuchen zu deuten.

Ein weiteres Beispiel: Natürlich kann man schreiben, dass »erstmal« (sic!) ein Gericht eine Sperrung für rechtens erklärt hat. Mit der journalistischen Sorgfaltspflicht im Hinterkopf könnte man als Redakteur einer öffentlich-rechtlichen Anstalt aber vielleicht auch auf ein zweites Urteil, welches das Gegenteil verkündet, kurz eingehen.
Leider ist dem Qualitätswart des WDR wohl der Artikel »Sofortsperrung rechtsextremer Internetseiten« von WDR Online entwischt. Hier fehlt der Hinweis auf die kurz zuvor veröffentlichte gegenteilige Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Minden. Ebenso wird unterschlagen, dass es gar nicht darum ging, ob Sperrungen generell rechtmäßig sind, sondern es wurde darüber verhandelt, ob eine sofortige Sperrung noch vor der Entscheidung im Hauptverfahren gerechtfertigt ist. Und nach Ansicht eines Richters aus dem nordrhein-westfälischen Mittelgebirge geht von der Webseite eines Nazikaspers, den nicht mal der Verfassungsschutz als Bedrohung ansieht, nun plötzlich eine große Gefahr aus, nachdem man den Fall seit knapp zwei Jahren diskutiert!

Sicherlich ist dem Autor hier bei der Recherche das ein oder andere Detail verloren gegangen. Wir beobachten und warten: (wann) wird der Qualitätswart des WDR hier nachbessern?

Der kleine Dienstweg

Schliesslich, und völlig ohne WDR-Bezug, sei da noch die Androhung gegenüber dem Heise Verlag erwähnt: Regierungspräsident Büssow verlangt eine Gegendarstellung für zwei angeblich falsche Darstellungen, anderweitig wolle man klagen. Dass die Forderung nach Gegendarstellung formal jeglicher Grundlage entbehrte ist offensichtlich auch der Bezirksregierung klar: die Sache wurde nicht weiter verfolgt. Vorgehensart und -weise lassen jedoch erkennen: Regierungspräsident Büssow ist immer noch am effektivsten, wenn er auf dem »kleinen Dienstweg« agiert. Ihn daher aber gleich an einen längeren Hebel ranzulassen, davon raten wir ab. Nicht nur wegen handwerklichen Mängeln.

 

Weiter:
Sperrung für 08/15-User, die die Seiten sowieso nicht anschauen
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Sonstige Infos:
Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur)

Links und Recht(s)
Oberlandesgericht Stuttgart erlaubt Links bei Diskussion über Rechtsextremismus. Details zum Verfahren und Informationen zum Ausgang

Berufsverbot wegen Zensur-Kritik?
Die Bezirksregierung Düsseldorf stellt Strafanzeige mit falschen Angaben und die Staatsanwaltschaft Stuttgart droht daraufhin mit Berufsverbot Mehr ...

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