Links und Recht(s)
Behörden und Justiz verirren sich im Internet
von ODEM-Team (07.10. 2004, 15:15:00)
Hinweis, Update 2: Diese Informationen hier sind von Oktober 2004; Informationen über aktuelle Entwicklungen finden sich in den Informationen zum Linkverfahren. Vom Landgericht Stuttgart wurde der Angeklagte in der Zwischenzeit in allen Punkten freigesprochen.
Update: Soeben wurde das Urteil verkündet: Alvar Freude wurde in erster Instanz zur Zahlung von 120 Tagessätzen verurteilt, da die Richterin in ODEM.org weder eine Dokumentation zum Zeitgeschehen noch in FreedomFone eine Satire entdecken konnte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Freudes Anwalt Thomas Stadler kündigte Rechtsmittel an. Details bei Heise Online. Ein erster Pressespiegel ist unten.
Sind Links auf unerwünschte Seiten (immer) strafbar oder kommt es auf den Kontext an? Mit dieser Frage wird sich das Amtsgericht Stuttgart am 7. Oktober 2004 beschäftigen müssen. Angeklagt ist der Netzkünstler, Online-Aktivist und ODEM.org-Gründer Alvar Freude.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, vorsätzlich bei der Verbreitung von nationalsozialistischen Propagandamitteln Hilfe geleistet zu haben: Durch Hyperlinks in der Dokumentation über die umstritteten Sperrverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf sowie in der Zensur-Satire FreedomFone. |
In der Anklageschrift heißt es, ein Hyperlink sei gleichzusetzen mit einem »Zugänglichmachen in Täterschaft«. Zwei Fragen wird das Amtsgericht deshalb klären müssen:
- Bedeuten Links in jedem Fall ein strafbares »Zugänglichmachen« beziehungsweise »Verbreiten«?
- Und falls ja, ist es dann auch strafbar, wenn man Adressen von beispielsweise rechtsextremistischen Internetseiten in einer Dokumentation über das Zeitgeschehen oder einer Satire nennt?
Für Tim Berners-Lee, den Erfinder des WWW, ist ganz klar, was ein Link tatsächlich bedeutet:
»Normale Hypertext Links implizieren nicht, daß das Dokument, auf das verwiesen wird, Teil ist von, bestätigt wird von, bestätigt, eine verwandte Urheberschaft oder Bedingungen für die Weiterverbreitung hat wie das Dokument, das den Verweis (Link) enthält.«
Tim Berners-Lee: Commentary on Web Architecture:
Links and Law
Oder anders gesagt: Ein Link ist nichts weiter als ein Literaturhinweis und ist an sich erst einmal neutral. Durch den Kontext kann eine Wertung der verlinkten Seite zustande kommen.
Für den zweiten Fall hat der Gesetzgeber vorgesorgt. Eine Strafbarkeit ist dann nicht der Fall,
»[...] wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.«
Strafgesetzbuch (StGB) §86 Abs. (3)
Die Sperrverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf sind solche »Vorgänge des Zeitgeschehens«. Eine Dokumentation über diese Vorgänge kann nicht vollständig sein, wenn man die betreffenden Webseiten nicht nennen darf. |
Die Bezirksregierung Düsseldorf und das Internet
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Ursache für das Verfahren ist eine Strafanzeige der Düsseldorfer Bezirksregierung: Die Anti-Zensur-Satire FreedomFone sei dazu da, Zugang zu illegalen Inhalten zu vermitteln. In einem Gespräch mit dem Journalisten Mario Sixtus behauptete der für die Sperrverfügungen zuständige Regierungsdirektor Jürgen Schütte gar, auf der Website von ODEM.org würde »übelster Menschen verachtender Nazi-Schund« verbreitet werden: »Es geht nicht um Links, [...] Herr Freude hat diese illegalen Inhalte in seine Seite [...] eingearbeitet. Wenn man seine Seite aufruft, erscheint direkt dieser Nazi-Schund.« Weder bei ODEM.org noch bei FreedomFone waren allerdings jemals die genannten Inhalte eingearbeitet. Im Prozeß gegen Alvar Freude wird das Amtsgericht vermutlich noch mit weiteren solchen Fehleinschätzungen und Mißverständnissen konfrontiert werden sie betreffen nicht nur Freudes Projekte, sie betreffen das ganze Internet. |
Was macht ODEM.org?
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Aufklären: über Netzmythen zum Beispiel. ODEM.org dokumentiert zudem seit Herbst 2001 die Internet-Zensur-Versuche der Bezirksregierung Düsseldorf. Anfang 2002 wurde die Erklärung gegen die Einschränkung der Informationsfreiheit mitsamt Online-Unterschriftenliste ins Leben gerufen. Zu den Erstunterzeichnern gehören zahlreiche Experten in Sachen Internet- und Medienkompetenz.
Die Aufklärungs- und Informationsbemühungen von ODEM.org waren der Bezirksregierung Düsseldorf offenbar ein Dorn im Auge: Zahlreiche Anfragen nach Akteneinsicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW blieben unbeantwortet oder wurden mit Argumenten abgelehnt, die auch die Landesbeauftragte für das Recht auf Information nicht nachvollziehen konnte.
Weitere Informationen:
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Wer ist Alvar Freude?
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Alvar C.H. Freude beschäftigt sich seit langem mit den gesellschaftspolitischen Auswirkungen des Internets und hier insbesondere mit dem Thema Internet-Filter und Internet-Zensur. In seiner Diplomarbeit insert_coin führte er ein umfangreiches Internet-Filter-Experiment durch und wurde für die Arbeit mit dem Internationalen Medienkunstpreis 2001 vom Südwestrundfunk (SWR) und Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) ausgezeichnet. Er ist Mitglied im Zivilgesellschaftlichen WSIS-Koordinierungskreis zum UNO-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS), der auch die Bundesregierung in Fragen zur Informationsgesellschaft berät. Er hält zahlreiche Vorträge rund um das Thema Internet. |
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Update 7./8. Oktober 2004: Erste Reaktionen auf das Urteil:
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