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Freenet zensiert kritische Websites

Mindestens zwei Webseiten, auf denen der in Hamburg ansässige Provider kritisiert wird, sind für Kunden nicht erreichbar.

von Alvar Freude (28.02. 2004, 18:26:48)    



[1] Auch wenn dies je nach Infrastruktur mal einfach, aufwendig oder sehr aufwendig ist

[2] insert_coin – Verborgene Machtstrukturen im freiesten Medium von allen, Diplomarbeit von Dragan Espenschied und Alvar Freude, Januar 2001; siehe auch die Zusammenfassung in der ODEM-Tour

[3] Die Website wurde in der Zwischenzeit gelöscht, ist aber unter mehreren Mirrors erhältlich. Eine Übersicht in einem Artikel bei Heise Online

Update 2. März: Freenet hat die Manipulation zugegeben und aufgrund des hohen öffentlichen Druckes ausgesetzt. Dafür findet Freenets Suchfunktion nach aktuellen Meldungen die betroffenen und weitere kritische Websites nicht mehr.
Update 13. März: Freenet lässt die Betreiber der beiden zuvor gesperrten Seiten kostenpflichtig abmahnen. Der Streitwert wurde von der beauftragten Berliner Kanzlei Jaschinski Biere Brexl großzügig mit 100.000 veranschlagt, damit sind für die Abmahnungen jeweils 1000 Euro Gebühren zu zahlen. Weitere Abmahnungen gingen an Webmaster, die die beiden Freenet-kritischen Seiten lediglich verlinkten. Weiteres im Linkbereich im Fuß dieser Seite.

Internet-Provider bringen ihre Kunden nicht nur ins Netz. Sie haben gleichzeitig auch die volle Kontrolle darüber, was die Kunden sehen können und was nicht.[1] 2000/2001 zeigten wir in einem Experiment, welche Gefahren in den verborgenen Machtstrukturen des Internets bestehen.[2] Nun wagt es erstmals ein großer Provider in Deutschland, seine Kunden aus persönlichen Motiven zu zensieren: bei mindestens zwei Freenet-kritischen Webseiten werden die Kunden auf eine hauseigene Counterstrike-Seite umgeleitet.

Auf den beiden betroffenen Websites Websites »Anormaler Freedepp« von Dirk Hertfelder und »Der große freenet-Beschiss« [3] eines namentlich nicht genannten Betreibers sind Fälle von Abrechnungspannen und anderen Problemen bei Freenet sowie mögliche Gegenmaßnahmen beschrieben.


Der Freenet-Zwangsproxy



[4] siehe auch: Erklärung in der Wikipedia

[5] vgl. insert_coin

Freenet setzt für seine im WWW surfenden Kunden einen sogenannten transparenten Proxy-Server[4] ein. Das bedeutet, dass alle Zugriffe auf Webseiten nicht direkt zu dem entsprechenden Server geleitet werden, sondern zuerst nach einer Kopie bei Freenet geschaut wird. Dies ist u.U. schneller und bedeutet für den Provider eine Kostenersparnis. Durch den Proxy hat Freenet theoretisch aber auch die Möglichkeit, beliebige Änderungen in den (fremden!) Webseiten vorzunehmen.[5] Im Normalfall bemerkt der WWW-Surfer davon nur, dass er beim ersten Zugriff nach einer Einwahl auf die Freenet-Seite geleitet wird.


Folgen und weitere Möglichkeiten

 

Weitere Manipulationen bei der Durchleitung fremder Websites durch Freenet konnten bisher nicht festgestellt werden. Möglichkeiten gibt es aber genug: von der Unterdrückung von Bannerwerbung der Konkurrenz über das Umleiten weiterer Websites bis hin zur Manipulation von Teilen einzelner Sites ist vieles denkbar.


Freenets Zensur bisher nicht bundesweit aktiv

 

Erste Recherchen ergaben, dass Freenet nicht bei jedem Einwahlpunkt manipuliert. Bei einer Modem-Einwahl in Stuttgart funktioniert alles wie gehabt: sowohl »Anormaler Freedepp« als auch »Der große freenet-Beschiss« sind erreichbar. Bei der Kölner Nummer des Providers sieht das aber ganz anders aus: Dort werden alle Zugriffe entsprechend umgeleitet.


Technik



[6] bzw. war, am 2. März wurde die Site bzw. Weiterleitung dort gelöscht

[7] bzw. stattfand, da Freenet ja in der Zwischenzeit die Manipulation zugegeben hat

Bei einem Zugriff auf die betreffenden Webserver werden die Daten statt vom Originalserver schlicht von einem Counterstrike-Portal von Freenet geladen:

»
$ telnet www.dirk-hertfelder.de 80
Trying 212.227.127.206...

Connected to www.dirk-hertfelder.de.
Escape character is '^]'.
GET / HTTP/1.0
Host: www.dirk-hertfelder.de

HTTP/1.0 200 OK
Date: Sat, 28 Feb 2004 15:29:25 GMT
Server: Apache/1.3.29 (Debian GNU/Linux) mod_gzip/1.3.26.1a PHP/4.3.3
Vary: Accept-Encoding
Last-Modified: Mon, 29 Apr 2002 10:56:48 GMT
ETag: »701c3-b3-3ccd26f0«
Accept-Ranges: bytes
Content-Length: 179
Content-Type: text/html; charset=iso-8859-1
Age: 0
X-Cache: MISS from kln2-t3-1.mcbone.net
Connection: close

<html>
<head>
<title<4Players – Sie werden weitergeleitet>/title>
<meta http-equiv='refresh' content='0;URL=http://www. cs.4players.de/ index2.php3'>
</head<
<body>
</body>
</html>
«

Manueller HTTP-Zugriff auf einen der betroffenen Server



Bei obigem Zugriff sieht es auf den ersten Blick so aus, als ob jemand auf Client-Seite eine Umleitung auf die Counterstrike-Seite durchführt. Dies ist aber nicht der Fall. Es wird schlicht jeder Zugriff auf die betroffenen Domains auf den Host »www.cs.4players.de« geleitet. Und dort wird der User bei Zugriff auf die Domain direkt auf die Unterseite »index2.php3« umgeleitet.

Der Unterschied wird klar, wenn man die Header der Originalserver betrachtet:

»telnet www.dirk-hertfelder.de 80
Trying 212.227.127.206...
Connected to www.dirk-hertfelder.de.
Escape character is '^]'.
GET / HTTP/1.0
Host: www.dirk-hertfelder.de

HTTP/1.1 200 OK
Date: Sat, 28 Feb 2004 15:30:34 GMT
Server: Apache/1.3.29 (Unix)
Last-Modified: Sat, 28 Feb 2004 04:40:47 GMT
ETag: »153c0bf-2af-40401bcf«
Accept-Ranges: bytes
Content-Length: 687
Connection: close
Content-Type: text/html


[...]«



Hier gibt sich der Server als »Apache/1.3.29 (Unix)« aus, der andere Server mit der Freenet-Counterstrike-Site ist aber ein »Apache/1.3.29 (Debian GNU/Linux) mod_gzip/1.3.26.1a PHP/4.3.3«. Zwar ließen sich diese Einträge auch fälschen, nur ist das nur mit höherem Aufwand verbunden. Eine der betroffenen Webseiten über den Weiterleitungsdienst .de.vu erreichbar.[6] Dort ist es für Kunden gar nicht möglich, die Header zu beeinflussen. Die Original-Server-Meldung ist nur »Apache«, aber auch hier meldet sich der Freenet-Server als »Apache/1.3.29 (Debian GNU/Linux) mod_gzip/1.3.26.1a PHP/4.3.3«.

Mittels mod_proxy wäre es zwar möglich, den Request zu einem anderen Server quasi-transparent weiterzuleiten. Bei der via .de.vu erreichbaren Site sieht obiges Beispiel aber ähnlich aus, und .de.vu bietet Serverseitige Umleitungen als Option nicht an. Es steht daher eindeutig fest, dass die Manipulation auf dem Freenet-Proxy-Server stattfindet. [7]


Rechtliche Lage

 

Die Verantwortlichen bei Freenet machen sich möglicherweise der Datenunterdrückung schuldig:

»§ 303a Datenveränderung

(1) Wer rechtswidrig Daten (§ 202a Abs. 2) löscht, unterdrückt, unbrauchbar macht oder verändert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.«


Inwieweit hier Freenet sich tatsächlich einer »rechtswidrigen« Datenunterdrückung schuldig macht müssen die Juristen beurteilen.

Die Betreiber der beiden gesperrten Seiten sitzen in Deutschland, in einem Fall ist der Autor namentlich bekannt: Freenet könnte hier also rechtliche Schritte gegen die Urheber einleiten, wenn die Behauptungen dort unwahr wären ...


Mahnungen und Hungerlöhne

 

Die auf den Webseiten beschriebenen Probleme der Abrechnung sind nicht neu. Ähnliche Berichte gibt es auch in der c't. Die Kieler Nachrichten berichten zudem über andere unhaltbare Zustände bei der Mobilcom-Tochter: Mitarbeiter im Callcenter sollen für fünf Euro Stundenlohn arbeiten, das Arbeitsamt weigerte sich aufgrund der mageren Bezahlung Mitarbeiter zu vermitteln.


Weitere Folgen

 

Freenet zeigt hier, dass die Mär von »das Internet lässt sich nicht kontrollieren« falsch ist. Das wird Menschen wie Düsseldorfs Regierungspräsident Jürgen Büssow freuen: fordert er doch seit langem eine umfangreiche Internet-Zensur. Zwar ist eine solche Manipulation bei anderer Infrastruktur weit komplizierter. Aber sie ist eben nicht unmöglich. Hier spielt neben Menschen- und Bürgerrechten vielmehr auch die Frage eine Rolle, welches Internet wir haben wollen: einen weltweiten Kulturraum oder ein lokales Shopping- und Kommerz-Netzwerk. Freiheit oder Brot und Spiele?


Weitere Presseberichte, chronologisch

 

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Schon 27036 Unterschriften gegen aufgezwungene Internet-Filter.
(Infos | Statement | MP3s)

Pressestimmen 2006
Über die Verhandlung beim Oberlandesgericht

Revisionsverhandlung gegen Netzaktivisten steht an
Bericht von der Verhandlung von Monika Ermert bei Heise Online.

Revisionsverhandlung gegen Netzaktivisten steht an
Bericht vor der Verhandlung mit weiteren Informationen bei Heise Online.

Pressestimmen 2005
Über den Freispruch durch das Landgericht

Freispruch für Internetaktivisten
Artikel von Ricarda Stiller in der Stuttgarter Zeitung vom 17. Juni 2005, Politik, Seite 2.

Freispruch im Hyperlink-Prozess
Meldung im Heise Newsticker.

Freispruch für Netzaktivist Alvar Freude
Meldung beim IT-News-Dienst golem.de.

Freispruch in der zweiten Instanz
Thomas Hochstein berichtet von der Verhandlung.

Hyperlink-Prozess: »Essenzielle Fragen der Meinungs- und Informationsfreiheit«
Monika Ermert berichtet bei Heise-Online im Vorfeld der Verhandlung.

Pressestimmen 2004
Zur Verurteilung durch das Amtsgericht

Volksverhetzer oder Bürgerrechtler?
ZDF/heute.de: Auch ohne Hintergrundwissen gut verständlicher Bericht von der Verhandlung von Mario Sixtus.

German fined for publishing neo-Nazi web links
Monika Ermert berichtet im britischen Online-Magazin The Register.

Netzaktivist wegen Hyperlinks zu Geldstrafe verurteilt
Meldung bei Heise Online

Weitere Berichte erschienen u.a. in den Print-Ausgaben der Frankfurter Rundschau, der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten. Eine Übersicht über diverse Blog-Beiträge findet sich in der Prozessankündigung

Pressestimmen 2003
Im Zusammenhang mit den Ermittlungen und den Strafanzeigen

Das FreedomFone
Mario Sixtus schreibt in der de:Bug wie die Bezirksregierung Düsseldorf mit Lügen und falschen Anschuldigungen versucht, Kritiker mundtod zu machen. Unter anderem behauptete sie, auf der ODEM-Website würden Nazi-Inhalte stehen: »Es geht nicht um Links. Herr Freude hat diese illegalen Inhalte in seine Seite eingearbeitet!«

Dann bleibt nur noch die Mickey Mouse
Oliver Gassner in der Stuttgarter Zeitung (Ausgabe vom 19. November 2003) zu den Sperrverfügungen, der Strafanzeige und den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.
(Kurz | Lang | € Original)

Deutschlands leise Schritte zur Internetzensur?
Politik-Digital berichtet über den Fall und welche Märchen die Bezirksregierung Düsseldorf auftischt.

Telepolis: Berufsverbot für Mediendesigner?
Dieser Bericht stellt einige Zusammenhänge dar

Internet oder Deutschland-Net?
Stefan Krempl in c't aktuell über »Brisante Hintergründe zu Web-Sperrungen in Nordrhein-Westfalen«

Staatsanwalt droht Netzaktivist mit Berufsverbot
Meldung im Heise Newsticker

Macguardians: Satire und Aufklärung ist nicht jedermanns Sache
Bericht über die Strafanzeige der Bezirksregierung und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft

 

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