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insert_coin Von Dragan Espenschied und Alvar C.H. Freude, 27.01. 2001, 04:39:21 |
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Die Zahl der Begehrlichkeiten wächst |
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[1] Siehe »Why the Internet is Good« von Joseph Reagle oder die Chaosradio-Folge 54 »Internet THE BIG PICTURE« (Download als MP3-Datei aus dem Chaosradio Audio Archive) [2] Nach David Clark; Quelle dieses und weiterer Zitate: »Why the Internet is Good« von Joseph Reagle [3] Siehe dazu »Das Netzwerk ist dezentral« [4] Siehe »Kontrolle über das Kopieren« |
Ob das Internet seine Bedeutung als freies Kommunikations-Medium behalten wird, entscheidet sich heute. Die bisherige Freiheit gründet sich, entgegen der verbreiteten Mythen, nicht auf unveränderlichen technischen Gegebenheiten, sondern auf bewussten Entscheidungen der Internet-Pioniere.[1]
Diese freiheitlich gesinnte Gruppe konnte lange in einer Art Biotop vor sich hinwerkeln. Das reibungslose Funktionieren des Netzes war das Ziel, »Rough consensus and running code«[2] war die Methode. Heute steht ihr eine finanzkräftige Wirtschaftslobby gegenüber, die sich weniger für freie Kommunikation interessiert, als dafür, wie sie mit dem Netz Geld verdienen können. Wenn freie Kommunikation und vor allem freie Entfaltungsmöglichkeiten dem Umsatz dienlich sind, wird auch die Wirtschaft für diese Ziele eintreten. Ein Beispiel ist der Datenschutz: Im Internet wollen sie ihn los haben und stattdessen freiwillige Richtlinien festlegen, dagegen verstoßen, und sich dann mit »Es war nur ein Versehen« zu entschuldigen.[3] Gleichzeitig fordert die Industrie vom Staat den Schutz ihrer eigenen Interessen: Marken-, Urheber- und Patentrecht sollen möglichst streng ausgelegt werden; bisherige Freiheiten wie das Kopieren urheberrechtlich geschützter Werke für den eigenen Gebrauch sollen eingeschränkt werden.[4] |
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[5] Nach Lawrence Lessig: CODE, 1999, Basic Books, New York |
Beide Seiten arbeiten auch an der Schaffung »technischer Realitäten«, also Technologien, die nach den eigenen Vorstellungen funktionieren und möglichst vor denen des Gegners eine große Verbreitung finden müssen: »Code is Law«[5], Gesetze werden nicht mehr von Politik, sondern vorhandener Technik bestimmt. Die Entscheidung über verwendete Software-Technologien muss für Organisationen und Einzelpersonen auch eine politische Entscheidung darstellen. Leider sieht es so aus, als wäre eine Abwägung auf rationaler Ebene für die meisten Personen unmöglich. | ||||||||||||
[6] Siehe das Kapitel »In den Medien« |
In den klassischen Medien wird größtenteils ein falsches Bild vom Netz gezeichnet[6], die öffentliche Meinung wird jedoch stark davon beeinflusst; ernsthafte politische Forderungen gründen sich auf Hypes und emotional überladenen Themen wie Kinderpornografie. Gleichzeitig nutzen vor allem Medienkonzerne Unwissenheit und die unsichere Rechtslage aus, um eigene Botschaften zu verbreiten. Aufklärungsarbeit kann man verständlicherweise von dieser Seite kaum erwarten, denn hier will ja niemand den gesellschaftspolitischen Robin Hood spielen, sondern (Medien-)Produkte verkaufen. | ||||||||||||
[7] Nach Hartmut Winkler: »Docuverse zur Medientheorie der Computer«, 1997, Boer-Verlag München |
Obwohl die Idee von der Entwicklung zur »Informationsgesellschaft« so ziemlich jeden ins Internet zu treiben versucht, sind weder die Geschichte noch einfachste Grundlagen dieses Mediums allgemein bekannt. Die Diskussion darüber findet größtenteils auf rein emotionaler Ebene statt: Rechtsradikale Kinderschänder verteilen Anleitungen zum Bombenbau an Minderjährige, skrupellose Raubkopierer bringen uns um unsere schönen Hollywood-Filme, Coputerviren radieren ganze Staaten aus. Die öffentliche Debatte ist stark von Wunschkonstellationen[7] und Paranoia geprägt. Selbst die freiheitlich orientierten und technisch versierten Netizens sind vor diesem Fehler nicht gefeit und behaupten, das Netz könne überhaupt nicht kontrolliert werden. Das trifft jedoch nur für sie selbst zu: | ||||||||||||
Wahrscheinlich werden sich Freaks immer wieder auf irgend eine Weise eine Möglichkeit schaffen, die Informations-Freiheit einschränkende Regulierungen zu umgehen. Ein endloser Kampf und die Kriminalisierung dieses Grundrechtes kann man jedoch wohl kaum als »Informationszeitalter« durchgehen lassen. Das Netz kann zum wichtigsten und einzigen Instrument der freien Rede werden; es kann auch bei der Wunschvorstellung davon bleiben.
Erik Möller: »Die Herrschaft der Server geht zu Ende«, taz, 4. Januar 2001, Seite 17 |
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Was sich ändern muss |
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[8] Siehe auch das Interview mit Jeanette Hofmann in Telepolis (August 2000) |
Zum jetztigen Zeitpunkt können sich Techniker, Soziologen und Politiker was das Internet betrifft nicht miteinander kommunizieren. Die Wechselwirkungen von Informationstechnik und Gesellschaft müssen jedoch ernst genommen werden.[8] | ||||||||||||
[9] Siehe »Falsche Berichte, Falsche Schlüsse« [10] Siehe »Man muss nur klicken können« |
Die Diskussion um die Zukunft des Netzes wird zur Zeit vor allem durch die Wirtschaft bestimmt. Der Cyberspace scheint ein idealer Raum zu sein, lästige Probleme wie Datenschutz und Beschränkungen des Urheberrechtes zu umgehen. Staatliche Institutionen lassen sich häufig für die Interessen des elektronischen Handels instrumentalisieren, da oftmals geschickt politische und wirtschaftliche Forderungen verknüpft werden.[9] Auf den anderen Seite ist die Cyberrechts-Bewegung nur wenig ausgeprägt, da die meisten Nutzer des Internets, quasi seine Bürger, schon mit der Technik des Netzwerkes überfordert sind.[10] | ||||||||||||
[11] Siehe »Die Kontrolle über das Kopieren« [12] Siehe »Falsche Berichte, falsche Schlüsse« |
Das Interesse des Sozialstaates sollte es allerdings sein, den Bürger zu schützen: Einerseits vor Datensammelwut und Kontrollgelüsten der Konzerne[11], andererseits vor staatlicher Willkür durch undemokratisch gefällte Entscheidungen über Inhaltliche Kontrolle.[12] | ||||||||||||
Damit eine öffentliche, sachliche Diskussion sinnvoll möglich ist, müssen die Netzbenutzer so viel von der technischen Seite des Mediums verstehen, dass sie Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen können. Dazu können die etablierten Medien einen wichtigen Beitrag leisten. | |||||||||||||
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