PRESSEMELDUNG ============= Ressorts: Internet/Medien; Politik; Feuilleton; Lokales (Stuttgart/Düsseldorf) Eine kopierbare Online-Version dieser Meldung und Hintergrundinfos finden Sie unter http://odem.org/presse/staatsanwalt.de.html Pressekontakt und mehr Infos: presse@odem.org oder (07 11) 5 07 08 25 oder (01 79) 1 34 64 71 (Alvar Freude) Hintergrundinformationen, Quellen und mehr weiter unten ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ Chinesische Verhältnisse in Deutschland? Staatsanwalt will Berufsverbot für Internet-Bürgerrechtler Eine satirische Aufarbeitung der Bestrebungen der Behörden in Nordrhein-Westfalen, ausländische Internet-Inhalte in Deutschland zu sperren, soll dem Internet-Aktivisten Alvar Freude zum Verhängnis werden: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt und droht in einem Schreiben an Freudes Anwalt mit Freiheitsstrafe und Berufsverbot. Freude betreibt unter ODEM.org ein Internet-Portal, auf dem er über Internet-Zensur und -Filtermaßnahmen informiert. Dort dokumentiert und kritisiert er einen Pilotversuch der Bezirksregierung Düsseldorf zur Sperrung ausländischer Internet-Seiten.[1] Über 18000 Unterzeichner haben sich in einer Unterschriftenliste gegen die Sperrungen ausgesprochen. Zu den Erstunterzeichnern gehören die "Reporter ohne Grenzen", der SPD-Bundestagsabgeordnete und Medienexperte Jörg Tauss und Grietje Bettin, medien- und bildungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.[2] Strafanzeige der Düsseldorfer Bezirksregierung Überrascht war Freude, als er einen Brief von der Staatsanwaltschaft Stuttgart in den Händen hielt: "Gewaltdarstellung im Internet" wirft sie ihm vor, da er auf der Website FreedomFone (http://w2p.odem.org/) anbietet, beliebige Internet-Inhalte am Telefon vorzulesen.[3] Das 2001 entstandene Projekt ist eine Satire auf die geplanten Filter-Maßnahmen der Düsseldorfer Bezirksregierung, die nun Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart gestellt hat. Begründung: Der Dienst sei dazu da, Zugang zu illegalen Inhalten zu vermitteln. In einer Stellungnahme schreibt Freudes Anwalt Thomas Stadler: "Das Angebot, man würde den Nutzern weggefilterte Internetinhalte dann eben am Telefon vorlesen, ist derart absurd, dass einem durchschnittlich aufmerksamen Internetnutzer die Satire förmlich ins Gesicht springt."[4] Auch die Dokumentation der Sperrungsverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf bei ODEM.org[5] ist Stein des Anstoßes: Der Geschäftsführer einer Düsseldorfer IT-Dienstleistungsfirma erstattete Anzeige und behauptet, Freude würde die Sperrverfügungen technisch umgehen und volksverhetzende Inhalte verbreiten. "Dies ist offensichtlich falsch, da mit Redirects technisch gar nicht möglich, und der Versuch mich in die rechtsextreme Ecke zu drängen ist eine Unverschämtheit", erläutert der Beschuldigte. "Es ist verwunderlich, dass die Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt dies nach eineinhalbjähriger Ermittlungsarbeit nicht selbst herausgefunden haben." Bleibt der Vorwurf, die in der Dokumentation enthaltene Nennung der Seiten, die die Bezirksregierung sperren lassen möchte, sei strafbar. Freude zeigt sich aber zuversichtlich, dass das Verfahren eingestellt wird. Sein Anwalt Thomas Stadler erklärt: "Nach der gesetzlichen Regelung ist der Tatbestand der Volksverhetzung nicht erfüllt, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung oder der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens dient. Dies ist bei ODEM.org eindeutig der Fall."[6] Ähnlicher Fall bereits 2000 Bereits 2000 ermittelte die Berliner Staatsanwaltschaft in einem ähnlichen Fall gegen den Journalisten Burkhard Schröder. Dieser verweist in seinem "Informationsportal Rechtsextremismus & Antisemitismus"[7] sowohl auf antifaschistische als auch auf rechtsradikale Internet-Seiten. Nach einer Untersuchung stellte die Staatsanwaltschaft Berlin das Verfahren 2001 ein: eine strafbare Handlung konnte nicht festgestellt werden.[8] Ein Berufsverbot wurde Schröder damals aber nicht in Aussicht gestellt. 93 Zeilen à 50 Zeichen (inkl. Überschrift) 430 Wörter Veröffentlichung honorarfrei Belegexemplar oder Hinweis auf Abdruck erbeten Anmerkungen: [1]: vgl. http://odem.org/informationsfreiheit/ [2]: siehe http://odem.org/informationsfreiheit/erklaerung.html [3]: Vormals TeleTrust.info, aufgrund Namensgleichheit mit einem Verein erfolgte im Herbst 2003 die Umbenennung in FreedomFone; Alte Version im Web-Archiv: http://web.archive.org/web/20011222043805/http://www.teletrust.info/ [4]: Die Stellungnahme Online: http://odem.org/material/verfahren/stellungnahme.de.html [5]: Eine aktuelle Dokumentation der zu sperrenden Websites findet sich unter http://odem.org/informationsfreiheit/o-ton--wieviel-und-was.html [6]: vgl. §86 Strafgesetzbuch, Absatz 3. http://lawww.de/Library/stgb/86.htm [7]: http://www.burks.de/nazis.html [8]: vgl. http://www.heise.de/newsticker/data/cgl-10.12.01-001/ Pressekontakt: ============== Alvar Freude presse@odem.org (07 11) 5 07 08 25 (01 79) 1 34 64 71 ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ Hintergrundinformationen: ========================= Die Sperrungsverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf -------------------------------------------------------- Die Bezirksregierung Düsseldorf ist nach dem Mediendienstestaatsvertrag in Nordrhein-Westfalen für die Medienaufsicht zuständig. Sie möchte ihre Kontrolle auch auf ausländische Internet-Inhalte ausweiten: Die Behörde und allen voran Regierungspräsident Jürgen Büssow planen, tausende ausländische Internet-Seiten zu "sperren" bzw. in Deutschland auszublenden. Die Seiten bleiben weiterhin im Netz, nur soll es Internet-Nutzern unmöglich gemacht werden, sich diese anzuschauen. Es handelt sich also nicht um eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern um die Einschränkung der Informations- bzw. Rezipientenfreiheit - also dem Recht, sich aus allen öffentlichen Quellen ungehindert unterrichten zu dürfen. Dieses Vorhaben ist technisch, juristisch und gesellschaftspolitisch sehr umstritten. Eine umfassende Diskussion fand in der Öffentlichkeit, abseits der Internet-Szene, bisher nicht statt. Dabei sind die ersten beiden zu sperrenden Webseiten - wie die Bezirksregierung selbst sagt - nur ein Versuchsballon, um die politischen, rechtlichen und technischen Grundlagen für eine weitergehende Internet-Regulierung zu schaffen. Es handelt sich um rechtsextremistische Webseiten aus den USA, denen der Verfassungsschutz aber keine bzw. nur eine geringe Bedeutung zuweist. Somit ist die vorgebliche Intention der Bezirksregierung sehr zweifelhaft. http://odem.org/informationsfreiheit/o-ton--wieviel-und-was.html Regierungsvizepräsident Jürgen Riesenbeck erläuterte die Taktik der Behörde mit: "Wenn ich das Milchtrinken verbieten will, muss ich erst mal ein oder zwei Flaschen beschlagnahmen." Auch Regierungsdirektor Jürgen Schütte, zuständiger Dezernatsleiter, gibt unumwunden zu: die angedachten Sperren bringen nichts: "Nutzer mit vertieften IT-Kenntnissen beziehungsweise überzeugte Rechtsextremisten werden schon Wege finden, um an die Inhalte zu gelangen." http://odem.org/informationsfreiheit/o-ton--08-15-placebo.html Weitere Quellen und Kritik: --------------------------- Umfangreiche O-Töne, aufgezeichnet bei zwei Veranstaltungen der Bezirksregierung, sind hier erhältlich: http://odem.org/informationsfreiheit/o-ton.html Eine umfangreiche Materialsammlung zum Thema, in der neben der Kritiker auch die Bezirksregierung Düsseldorf zu Wort kommt, hat die Internet-Initiative DAVID (ein Zusammenschluss diverser Vereine und Initiativen) zusammengestellt: http://www.david-gegen-goliath.org/Materialsammlung.pdf Die Sperrungsverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf standen von Anfang an unter der Kritik der Internet-Öffentlichkeit. Auch wenn Regierungspräsident Jürgen Büssow (SPD) die Kritiker gerne in die rechtsextreme Ecke zu stellen versucht kamen diese vornehmlich aus der Mitte der Gesellschaft. So bezeichnete der Bundestagsabgeordnete und medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Büssows Vorgehen als "Schaumschlägerei" und "in politischer Perspektive fehlgeleitet und in rechtlicher Hinsicht unhaltbar." http://www.heise.de/newsticker/data/anw-22.11.01-008/ http://www.heise.de/newsticker/data/anw-20.02.02-009/ http://www.tauss.de/service/presse/buessowheute6000morgen600000/ In einem Rechtsgutachten zu den Sperrverfügungen lässt Prof. Dr. Christoph Engel kein gutes Haar an den Düsseldorfer Vorhaben: http://rsw.beck.de/rsw/downloads/Beilage4_03.pdf In einem offenen Brief kritisieren diverse Organisationen und Initiativen, darunter der Virtuelle Ortsverband der SPD, die Grüne Jugend u.a., die Verleihung eines Anti-Rassismus-Preises an Jürgen Büssow: http://www.david-gegen-goliath.org/hammer/offener-brief.pdf http://www.david-gegen-goliath.org/presse/hammer.pdf http://www.david-gegen-goliath.org/presse/ Bezirksregierung vs. ODEM.org/Alvar Freude ------------------------------------------ Laut dem Informationsfreiheitsgesetzt Nordrhein-Westfalen sind Behörden verpflichtet, vorhandene Informationen auf Antrag herauszugeben. Entsprechende Anträge von ODEM.org wurden von der Bezirksregierung entweder mit haarsträubenden Begründungen abgelehnt oder, wenn es nicht mehr anders ging, mit überzogenen und unbegründeten Gebührenrechnungen belegt. Auch die massive Intervention der Landesbeauftragten für Information scheint die Bezirksregierung nicht zu stören: Bis heute hält die Behörde rechtswidrig Dokumente zurück. Details: http://odem.org/informationsfreiheit/o-ton--oeffentlich.html Dieser Kleinkrieg der Düsseldorfer Behörde dürfte in der Strafanzeige gegen Alvar Freude ihren vorläufigen Höhepunkt finden. Kam die Bezirksregierung vielleicht durch die Überschrift "Knast für Kritiker?" bei obigem Artikel auf dumme Gedanken? Die Strafanzeigen ----------------- Bereits im April 2002 erstattete der Geschäftsführer eines Düsseldorfer IT-Dienstleistungsunternehmens Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen Alvar Freude als Verantwortlichen bei ODEM.org sowie gegen den Provider (ohne diesen zu benennen). Tatvorwurf: Verbreitung volksverhetzender Inhalte und Umgehung der Sperrverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf mittels "Redirect Links". Dass letzteres technisch schlicht falsch ist (eine vorhandene Sperre würde damit keinesfalls umgangen), muss ihm als Programmierer bekannt sein. Im Diskussions-Forum des Heise-Newstickers diffamierte er unter Pseudonym Alvar Freude als Nazi bzw. und Nazi-Sypathisant. Das Landeskriminalamt ermittelte fast eineinhalb Jahre und füllte einen Ordner mit Ausdrucken von Webseiten, die nichts mit ODEM.org oder Alvar Freude zu tun hatten. Eine vom LKA beantragte Hausdurchsuchung wurde von der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Interessanterweise ist der Anzeigenerstatter Stammuser eines anderen Internet-Projekts von Alvar Freude: Dem interaktiven Textnetzwerk Assoziations-Blaster (http://www.assoziations-blaster.de/), einer bekannten Netzliteratur-Arbeit. Dort ist er freundlich und kooperativ, hat eine Erweiterung programmiert und bat sogar um den Quellcode des Programmes, um dieses weiterzuentwickeln. Die Motivation für die Strafanzeige ist also nur schwer verständlich. Ob seine Firma in geschäftlicher Beziehung mit der Bezirksregierung steht ist nicht bekannt, die Website der Firma schweigt sich über ihre Kunden aus. Im Juni 2003 stellte schließlich auch eine Mitarbeiterin der Bezirksregierung auf offiziellem Briefpapier der Behörde die zweite Strafanzeige. Diesmal wegen der Satire auf die Sperrungsverfügung. Die Mitarbeiterin arbeitet in der Abteilung, in der die Sperrungsverfügungen bearbeitet werden. Die Satire ist der Bezirksregierung seit Dezember 2001 bekannt. Stellungnahme ------------- Die Stellungnahme von RA Thomas Stadler beinhaltet eine ausführliche Würdigung der Strafanzeigen und der Ermittlungsarbeit von LKA und Staatsanwaltschaft: ............................. Über Jürgen Büssow ------------------ Ein Lebenslauf von Düsseldorfs Regierungspräsident findet sich unter: http://odem.org/akteure/juergen-buessow.de.html Sein Umgang mit der Presse ist hier nachzulesen: http://odem.org/informationsfreiheit/o-ton--druck-wdr.html Über ODEM.org (http://odem.org) ------------------------------- ODEM.org setzt sich für den Erhalt der Informations- und Meinungfreiheit im zur Zeit noch mächtigsten Medium der freien Rede, dem Internet, ein. ODEM.org wendet sich gegen informationelle Bevormundung durch kurzsichtige und undurchdachte Gesetze, gegen Softwaremonopole und dagegen, dass die Informations- und Publikationsfreiheit im Netz den wirtschaftlichen Interessen Einzelner untergeordnet wird. Ziel ist es, durch Aufklärung Politik und Gesellschaft für die in Gefahr geratenen, einzigartigen Werte des Internets zu sensibilisieren und insbesondere einen breiten Konsens zugunsten der Informations- und Publikationsfreiheit herbeizuführen. Siehe auch: http://tour.odem.org/ http://iasl.uni-muenchen.de/links/lektion12.html Über Alvar C.H. Freude ---------------------- Alvar C.H. Freude, verheiratet, Jahrgang 1972, ist Diplom-Kommunikations-Designer (FH) und lebt in Stuttgart. Er arbeitet als freiberuflicher Internet-Entwickler, Berater, Programmierer und tritt gelegentlich als Medienkünstler in Erscheinung. Seit 1999 engagiert er sich für Informations- und Kommunikationsrechte, zuletzt im Rahmen des UNO-Weltgipfels zur Informationsgesellschaft (WSIS), und hält verschiedene Vorträge zu Themen rund um Netzkultur. http://alvar.a-blast.org/ 2001 wurde er für seine Diplomarbeit "insert_coin - Verborgene Mechanismen und Machtstrukturen im freisten Medium von allen" mit dem "\\internationalen\medien\kunst\preis" vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) und Südwestrundfunk (SWR) ausgezeichnet. http://tour.odem.org/insert_coin.html